kARToffel-Perspektive

 

Letztens unterhielt ich mich mit meinen Kartoffeln.

Ich hatte sie gerade aus dem Keller geholt, dann aus dem kleinen Kartoffeleimerchen, das ich ihnen immer freundlicherweise zur Verfügung stelle, auf die ausgebreitete Zeitung gekippt und mein Schälmesser zur Hand genommen. Auf dem Speiseplan stand Kartoffelauflauf, dafür musste die Schale runter.

Gerade als ich die erste zur Hand nahm, überlegte ich, dass es schon ein Zeichen von Respekt wäre, wenn ich meine Kartoffeln zunächst nach ihren Wünschen fragte. Schließlich ist es einfach eine Unterstellung meinerseits, dass ihnen meine Auflaufform zusagt. Vielleicht hatten sie ganz andere Vorstellungen von ihrem weiteren Dasein.

Gott sei Dank handelte es sich nicht um spanische Kartoffeln, sonst wäre es mangels Fremdsprachenkenntnissen zu leichten Verständigungsproblemen gekommen. Wie sich herausstellte, stammten meine Kartoffeln aber von deutschen Feldern. Die meisten kannten sich sogar untereinander. Auf meine Frage, ob es ihnen recht wäre, wenn ich sie entkleide, entspann sich eine ernsthafte Diskussion. Nur ein paar junge männliche Kartoffeln rollten sich sofort vor mein Messer.

„Ja bitte, bitte – schäl mich!“, riefen sie.

Gut – ihrem Wunsch nach Nacktheit konnte ich nachkommen. Schon kurz darauf schwammen sie in einem Wasserbad in einer meiner schönsten Schüsseln. Schließlich sollte ihre glattgelb und feste Haut keine dunklen Flecken bekommen.

Die älteren Kartoffeln diskutierten erst einmal das Für und Wider.

„Es gibt ja immer ein Schlechter!“, meinte eine alte Schrumpelknolle. „Im Keller vermodern zum Beispiel.“

„Matschig werden und stinken“, stöhnte eine andere und schüttelte sich.

„Oder stellt euch vor, ich habe einmal von einer Kartoffel gehört, die man bei der Ernte vergaß. Ganz allein blieb sie zurück auf dem großen, einsamen Feld. Sie soll dann depressiv geworden sein.“

„An Tiere verfüttern sie uns auch“, klagte wieder eine andere. Diese letzte Bemerkung rief große Entrüstung hervor.

Die alte Schrumpelknolle konnte nur mit dem Kopf schütteln und ‘Perlen vor die Säue murmeln.

 

 

...

 

 

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